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Sind Kinder zu jung für Mitbestimmung? (Teil II)

In der soziokratisch organisierten Grundschule De School in Zandvoort (Niederlanden) läuft vieles anders als in «normalen» Schulen. In Teil I dieses Artikels konnten Sie erfahren, wie die Kinder durch Gespräche in ihrem persönlichen Kreis Mitverantwortung für den eigenen Lernprozess übernehmen. Aber wie wird Mitbestimmung im Rest der Schule organisiert?



Schüler*innen bestimmen mit – in der eigenen Gruppe…

In De School gibt es keine regulären Schulklassen. Es gibt 4 verschiedene Gruppen, welche je aus circa 24 Schüler*innen bestehen und jeweils in einem anderen Gebäude untergebracht sind. Die Gruppen sind aufgeteilt anhand des Grades an Selbstständigkeit beim Lernen – die Kinder einer Gruppe sind also, innerhalb eines gewissen Spektrums, altersmässig durchmischt. Jede Gruppe organisiert sich ein Stück weit autonom, wobei nicht nur Eltern und Lehrkräfte, sondern auch Schüler*innen einbezogen werden.


Im Schüler*innenkreis sitzen alle Kinder dieser Gruppe mit ihren Lehrkräften zusammen. «Dieser Kreis ist besonders prägend», sagt Rosanne Maters, die Schulleiterin. «Kinder lernen, einander zuzuhören, auch wenn sie sich manchmal diametral gegenüberstehen. Die Lehrkräfte helfen ihnen dann bei der Formulierung von Argumenten.» Alle zehn Wochen geht es in diesem Kreis zum Beispiel um Geld, genauer gesagt um 300 Euro. Das Geld können sie für das Thema der nächsten Periode ausgeben. Für das kommende Thema «Bauen» gibt es eine «riesige Liste», sagt Laura de Ruiter, eine Lehrerin: «Weil die Kinder mitbestimmen können, was bestellt wird, beschweren sie sich danach nicht.» Selbst Kinder im Alter von 4 Jahren haben in diesem Kreis ein Mitspracherecht. Zum Beispiel darüber, welches Spielzeug dort gekauft wird. «Da haben sie absolut eine Meinung dazu», sagt Laura de Ruiter. Ihre Kolleg*innen in der Unterstufe verstünden es sehr gut, alle Kinder in den Kreis zu integrieren, auch wenn sie noch nicht richtig sprechen könnten oder sich in der Gruppe unwohl fühlten.


«Weil die Kinder mitbestimmen können, was bestellt wird, beschweren sie sich danach nicht.» - Laura de Ruiter (Lehrerin)

… und in der gesamten Schule

Im Schüler*innen-Kreis wählen die Kinder auch die Delegierten für den übergeordneten gesamtschulischen Kreis der Schüler*innen, in dem delegierte Schüler*innen aller Gruppen vertreten sind. Für Djennah war es «ein wichtiger Moment», als sie als Delegierte aus ihrer eigenen Gruppe in diesen Kreis gewählt wurde. Die Schüler*innen dort kommen aus allen Gruppen, aus der Unter-, Mittel- und Oberstufe. «Ich finde das nicht schwieriger, aber ernster.» Mit einem Hauch von Ehrfurcht in ihrer Stimme: «Es ist für die ganze Schule.»


«Durch diese Kreise und das, was sie dort tun, lernen die Kinder einander besser kennen und schätzen», sagt Maters. Sie lernen auch, den Zusammenhang zwischen dem Persönlichen und dem grossen Ganzen zu erkennen. «Unsere Kinder haben Zeit, sich selbst kennen zu lernen. Und sie lernen, zusammenzuarbeiten und als Gemeinschaft zu funktionieren.»


«Durch die Mitarbeit in den Kreisen lernen die Kinder, den Zusammenhang zwischen dem Persönlichen und dem grossen Ganzen zu erkennen.» - Rosanne Maters (Schulleiterin)


Höhere Motivation durch Eigenverantwortung

Ein Mitspracherecht bei dem, was man tut – Erwachsene wollen es und Kinder wollen es genauso! Wenn man, wie De School, massgeschneiderten Unterricht anbieten will, muss man den Kindern ein Mitspracherecht dabei einräumen. Kinder wollen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Sie haben vielleicht nicht immer die richtigen Worte, aber die Lehrkraft kann ihnen dabei helfen, sich auszudrücken und ein passendes Unterrichtsformat für ihre Wünsche zu finden. «Ich denke, Soziokratie gibt den Kindern mehr Eigenverantwortung für ihren Lernprozess», sagt Lehrerin Linda Opmeer. «Dadurch sind sie intrinsisch motiviert. Sie erhalten diese Eigenverantwortung in ihrem Persönlichen Kreis und im Kreis der Gruppe. Sie spüren die Folgen dessen, was sie dort besprechen, ganz konkret jeden Tag – zum Beispiel durch die Wochenpläne, welche sie selbst erstellt haben.»


«Ich denke, Soziokratie gibt den Kindern mehr Eigenverantwortung für ihren Lernprozess. Dadurch sind sie intrinsisch motiviert.» - Linda Opmeer (Lehrerin)

Raum für Potenzial

Georgina Kwakye hat zwei Kinder an der Schule. Wie die meisten Eltern kannte sie die Soziokratie nicht, als ihre Tochter hierherkam. Das änderte sich jedoch schnell. Auch die Eltern einer Gruppe treffen sich alle 10 Wochen mit den Lehrkräften und besprechen in diesem Kreis Themen, welche sie und ihre Kinder betreffen (zum Beispiel Unterrichtsmethoden, Organisatorisches und Ausflüge). Und auch hier werden – ähnlich wie bei den Schüler*innen – delegierte Eltern in den gesamtschulischen Kreis der Eltern gewählt, wo sie, zusammen mit Lehrkräften und der Direktorin, die Schulpolitik mitprägen.


Kwakye betont im Gespräch vor allem die Wichtigkeit der Auseinandersetzungen im persönlichen Kreis: «Es gibt so viel Raum für das Potenzial der Schüler*innen, ohne den ganzen Druck.» Beim letzten Treffen hatte ihre Tochter Suki eine ganze Liste von Punkten zu besprechen. Suki wollte zum Beispiel Katalanisch lernen, weil die Familie für eine Weile in Spanien leben wird. Sie lernt die Sprache jetzt als Wahlprojekt (bei dem jedes Kind an etwas arbeitet, das es selbst ausgewählt hat). Und indem sie sich immer wieder neue Ideen ausdenkt, um ihre Lesefähigkeiten zu verbessern, bleibt Suki laut Kwakye «super motiviert», daran zu arbeiten. Ihre Kinder nehmen die Soziokratie auch mit nach Hause, lacht Kwakye. Ihre Tochter bittet beispielweise ihre Kuscheltiere um Erlaubnis, wenn sie in einem ihrer Stücke mitspielen sollen. Auch Kwakye selbst versucht, die Grundprinzipien in die Erziehung einfliessen zu lassen: «Als wir uns also über das Leben in Spanien unterhielten, fragte ich: Gebt ihr euren Konsent? Das taten sie.»






Mehr über De School erfahren?

Besuchen Sie unser Webinar Mitbestimmung in der Schule und Familie am 23. März 2022! Rosanne Maters, die Direktorin der Schule, erzählt aus ihrer Praxis – als Direktorin sowie als Elternteil – und beantwortet Fragen.


Mehr über Soziokratie erfahren?

Am 24./25. März 2022 in unserem Einführungsmodul Kooperativ Ziele in Organisationen erreichen (Modul 1).

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