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Auf die Beziehung kommt es an. Ja schon, nur wie?

Von Kreti und Pleti bis Hattie: Alle sind sich einig, Beziehung ist der wichtigste Faktor gelingender Erziehung und erfolgreicher Bildung. Nur wie kommt man dort hin, wo Beziehung richtig gut wird, wo setzt man als Eltern und als Lehrperson an, um gelingende Beziehung zu gestalten?


Alle haben Beziehungen: Eltern-Kindbeziehungen, Paarbeziehungen, Lehrerinnen-, Schülerbeziehungen, Vorgesetzten-, MitarbeiterInnenbeziehungen. Der Begriff «Beziehung» ist aber schwierig. Irgendwie versteht ihn zwar jede(r) und doch ist er wenig greifbar. Noch viel weniger hilft er, wenn man sich aufmacht #Beziehungen zu verbessern oder an der so viel beschworenen #Beziehungskompetenz zu arbeiten. Denn wie macht man das um Himmelswillen?

Mir scheint, dass «Beziehung» - so nah uns der Begriff auch ist - besser durch «Begegnung» ersetzt werden sollte. Denn dann wird alles fassbarer. Begegnungen finden immer «jetzt» statt, genau in denjenigen Momenten, wenn Menschen miteinander zu tun haben, wenn sie sich anschauen, miteinander sprechen, streiten, anlachen, sich aus dem Weg gehen, gestikulieren, sich mit ihrer Mimik ausdrücken und vom Gegenüber einen Eindruck bekommen. Das, was in Begegnungen geschieht, können wir beschreiben, wir können in Worte fassen was für fühlen, wie es uns geht, was wir brauchen, was uns fehlt. Und wir können unser Handeln in Begegnungen gestalten und verändern - also an unserer Begegnungsfähigkeit arbeiten. All das ist nicht möglich und sehr nebulös, wenn wir lediglich davon sprechen, dass uns die Beziehungskompetenz zu unseren Schülern wichtig ist, dass wir die Beziehung zu Eltern pflegen möchten oder die Beziehung im Lehrerkollegium verbessern wollen.

Was genau in #Begegnungen geschieht, weshalb sie konstruktiv oder destruktiv ablaufen, wie unsere Persönlichkeit entsteht und auf unsere Beziehungen wirkt, welche Gelingensbedingungen wichtig sind, damit aus wahrhaftigen Begegnungen erfüllende Beziehungen werden, darüber habe ich ein ganzes Buch geschrieben. Für diesen kurzen Blogartikel möchte ich mich jedoch auf zwei hauptsächliche Aspekte beschränken:

1. Primäre und sekundäre Erfahrungen unterscheiden

Primäre von sekundären Erfahrungen unterscheiden zu lernen ist ein enorm powervoller Schlüssel, um Begegnungen kontaktvollen, konstruktiver und vertrauensvoller gestalten zu können.

Was also verstehe ich unter primären Erfahrungen? In einer Begegnung geschehen in Sekundenschnelle tausend Dinge, die wir über unsere Sinne wahrnehmen. Mit unserem Intellekt erfassen wir zudem Worte und die Bedeutung dessen, was unser Gegenüber uns mitteilt. Diese Dinge gehören alle zu den primären Aspekten einer Erfahrung - denn sie geschehen tatsächlich. Beispiel: Ein Kind hasstet ausser Atmen fünf Minuten nach Schulbeginn ins Schulzimmer. Wir hören, wie die Türe aufgeht, wir sehen das Kind, wir hören den schnellen Atem und die sich überschlagende Stimme, die sagt: «Ich habe verschlafen». Wir sehen die schnellen Schritte hin zu seinem Platz und die Blicke der anderen SchülerInnen.

Nun kommt das hinzu, was ich sekundäre Erfahrungen nenne - nämlich all die Dinge, die nicht wirklich geschehen, sondern der primären Erfahrung hinzugefügt werden: Interpretationen, Befürchtungen, Annahmen, Beurteilungen, Vermutungen in Form von inneren Dialogen. Beispiel: «Jetzt ist er schon wieder zu spät», «die Schule scheint ihm völlig gleichgültig zu sein», «will der mich eigentlich ärgern, dass er schon wieder zu spät in die Schule kommt?» «Die Eltern kümmern sich einfach um nichts», «noch einmal kann ich das nicht durchgehen lassen, sonst werde ich der Klasse gegenüber unglaubwürdig», «es ist meine Pflicht, als Lehrperson durchzugreifen», usw. Nicht wenige dieser sekundären Erfahrungen lösen ihrerseits Emotionen aus, die sich dann natürlich ganz real anfühlen. Wenn es einmal soweit gekommen ist, ist es unglaublich schwierig sagen zu können, welche Emotionen denn nun ursprüngliche Gefühle waren und welche durch das innere Kopfkino ausgelöst wurden. Alles scheint real und wahr zu sein - schliesslich fühle ich es ja.

Die Vermengung der primären Erfahrung mit den Interpretationen und #Beurteilungen der sekundären Erfahrungen schränkt die Präsenz für den Moment und die unmittelbare Wahrnehmung meines Gegenübers ein. In der Schule geschieht das oft, wenn pädagogische Konzepte, #Ideologien oder Rollenbilder als Lehrperson oder Erwartungshaltungen von aussen den wahrhaftigen und unmittelbaren Blick auf ein Kind verunmöglichen.


Im Umkehrschluss können wir sagen:


Gelingt es uns in einer Begegnung all die Bewertungen, Konzepte und Annahmen der sekundären Erfahrung zu erkennen und für einen Moment stehen zu lassen, können wir unser Gegenüber wahrhaftiger erkennen und ihm offener begegnen.

Die wäre ein erste grosser Schritt die eigene Beziehungskompetenz zu entwicklen gemacht.


2. Zuhören, um besser zu verstehen

Der zweite Schritt ist abhängig vom ersten. Gelingt es uns einen Begegnungsmoment unmittelbar wahrzunehmen, sind wir freier, unserem Gegenüber wirklich zuzuhören. Wir sind dann darauf fokussiert, das zu sehen, was ist und nicht das, was wir erwarten oder unseren Konzepten und Ideologien entspricht. Lediglich, das zu sehen, was ist, lässt uns offener bleiben und vielfältiger denken und handeln.


Betrachten wir einen anderen Menschen durch die Brille von Sekundärerfahrungen, hören wir ihm zu, um ihm besser entgegnen zu können, weil wir durch unsere Ängste, Bewertungen und Interpretationen gefangen sind und unsere Sichtweisen verteidigen wollen. Immer dann, wenn wir uns «ja, aber», «stimmt nicht», «bin ich ganz anderer Meinung» sagen hören, können wir davon ausgehen, dass wir zuhören, um besser zu entgegnen.


Zuhören, um sein Gegenüber besser zu verstehen, muss nichts Eigenes verteidigen. Es bedeutet aber auch nicht keine eigene Meinung oder keine Wertvorstellungen mehr zu haben. Es bedeutet lediglich, dass wir in der Lage sind, diese für einen kurzen Begegnungsmoment beiseite zu schieben, um offen zu sein, unser Gegenüber ganz und gar zu sehen und zu fühlen.


Zum Schluss ein Übung, die jederzeit und an jedem Ort gemacht werden kann. Sie schult die Fähigkeit in jedem Moment präsent zu sein und zu beobachten, welches die primären und welches die sekundären Erfahrungen sind. Die Übung besteht aus drei Fragen:

  1. Wo bin ich?

  2. Was ist da?

  3. Wie geht es mir damit?

Die erste Frage «Wo bin ich?» bringt mich mit all meinen Sinnen an den Ort, an dem ich gerade bin, zu der Person, die in einer Begegnung gerade mit mir ist. Ich kann nicht mehr gedankenverloren irgendwo bei meinen Träumen, Ängsten oder was auch immer verweilen.


Die zweite Frage «Was ist da?» bringt meine Aufmerksamkeit auf all das, was ich mit meinen Sinnen wahrnehmen kann: Was sehe, höre, rieche, schmecke, fühle ich? Während dessen ist es nicht möglich auch noch Gedanken nach zu hängen.


Die dritte Frage «Wie geht es mir damit?» ist ein Hinweis darauf in wie weit ich mit der primären oder mit der sekundären Erfahrung verbunden bin. Bin ich ganz und gar mit meiner Sinneswahrnehmung verbunden, kann ich auf diese Frage meist kaum eine substantielle Antwort geben - ich bin einfach da. Fühle ich mich gestresst, wütend, ungeduldig, usw. kann ich davon ausgehen, dass ich zur primären Erfahrung eine ganz eigene alte Geschichte hinzufüge, die mich in Beschlag nimmt und nun zwischen mir und meinem Gegenüber steht und eine direkte, offene und unmittelbare Begegnung erschwert.

Fazit:

Beziehungen werden in Begegnungen geformt. Die Qualität einer Begegnungen ist immer im jeweiligen Moment gestaltbar. Die Fähigkeit, einen Moment präsent mit seinen Sinnen wahrzunehmen und auftauchende Urteile, Bewertungen und Konzepte als eigene Hinzugabe von der primären Erfahrung unterscheiden zu können, befähigt Menschen dazu anderen zuzuhören, um sie besser zu Verstehen, anstatt ihnen besser entgegnen zu müssen.

Literaturempfehlung zur Vertiefung des Themas: Gemeinsam über sich Hinauswachsen - Präsenz, Verbundenheit und Co-Kreativität in Gemeinschaften, Daniel Hunziker, 2019 arbor-Verlag, Freiburg i.B.


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